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»Falle«

social media 3758364 640Diese Geschichte von Samra Duda wurde von der Jury ausgewählt und im Gewinnerband »Falle« unseres Kurzgeschichten-Wettbewerbes abgedruckt. Wir veröffentlichen sie hier in voller Länge.

Die Autorin

Samra Duda (Künstlername) lebt als freie Autorin und Malerin in München und Wien. Seit sie 14 Jahre alt ist, nutzt sie kreatives Schreiben als Ventil, um Eindrücke zu verarbeiten und ihre Gedanken über Leben und Gesellschaft zu ordnen. Die studierte Kunsthistorikerin und Literaturwissenschaftlerin sucht stets neue Abenteuer und überträgt ihre Erfahrungen und soziologischen Erkenntnisse in ihre Kurzgeschichten und Gedichte.

Geleitwort der Jury

Fallen gibt es viele. Und wie Fallen es so an sich haben, sind sie selten auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Hinterhältig, von langer Hand geplant oder unfreiwillig selbsterschaffen – wir tappen hinein, sie schnappen zu und man kommt nur schwer oder gleich gar nicht wieder heraus. Die Autoren der folgenden Beiträge führten uns ebenfalls häufig auf falsche Fährten, ja stellten uns regelrechte Fallen, was die Umsetzung des Mottos betrifft; geschickt offenbarte sich die Interpretation des Themas oft erst gegen Ende oder beim zweiten Lesen. Was für uns Menschen so alles zur Falle werden kann, das erfahren Sie hier, in den schönsten Kurzgeschichten dieses Wettbewerbs.

JoyOfMissingOut

 „Geiler Film! Der beste Tarantino!“, sagt Tom begeistert, als der Abspann beginnt. „Ja, den kann man echt immer wieder gucken“, entgegne ich lächelnd. Tatsächlich habe ich kaum aufgepasst. Da Tom während des Films ein Handyverbot erteilt hat, bin ich gedanklich durchgegangen, welches Selfie ich vom heutigen Netflix & Chill-Abend posten soll. Mein iPhone blinkt – 79 ungelesene Nachrichten. Vielleicht ist endlich das Kooperationsangebot dabei, auf das ich seit Wochen hoffe.

Während ich ins Bad gehe, beantworte ich unter meinem neuesten Post, von welcher Marke mein Mantel ist. Dann sehe ich meine PMs durch: Komplimente, Anmachen, lustige Videos, die mir Freunde weitergeleitet haben, und reihenweise Herzen als Antwort auf meine Story. Das Übliche. Etwas enttäuscht schaue ich mir beim Zähneputzen die Stories der anderen InfluencerInnen meiner Stadt an. Vivian hat natürlich auch die Chanel-Geschenkbox bekommen und sie hat sie besser fotografiert. Eine neue, feingemusterte Kaschmir-Decke liegt auf ihrer Couch. Ist Paisley-Muster wieder in? Ich google es direkt. Verdammt, mir hätte auch einfallen können, passend zur Herznote eine Rose neben das Parfum zu drapieren. Die Bitch hat sich heute außerdem einen Selfcare-Day im Spa geleistet, während ich keine freie Minute hatte. Mein Körper fühlt sich ausgelaugt an, aber das ist eben der Preis für die beste Story: Zuerst habe ich meine neuen New Balance-Sneaker raffiniert mit dem Mantel eines hippen Start-Ups kombiniert und das Outfit vor einer farblich passenden Jugendstil-Eingangstür fotografiert. Danach habe ich die Naturkosmetik-Produkte eines Werbepartners vorgestellt, die Chanel-Geschenkbox gepostet und sogar noch Zeit für ein Q&A gehabt. Zwischen Valentins Vernissage und dem Filmabend habe ich spontan ein Workout gequetscht, nachdem ich in Vivians Story gesehen hatte, wie knackig ihr Po mittlerweile ist. Sie hatte außerdem einen unverschämt kuschelig aussehenden Pullover an, den ich mir unbedingt auch holen muss. Mit zwei Klicks ist er bestellt, obwohl ich diesen Monat eigentlich schon viel zu viel für meine Galvanic Spa-Behandlungen und Toms Geburtstagsüberraschung ausgegeben habe. Eine Woche NYC in einem angesagten Hotel an der Upper East Side. Hoffentlich macht mir Tom einen Heiratsantrag. Damit würde ich alle anderen InfluencerInnen in den Schatten stellen. Mein Spiegelbild grinst mich mit Zahnpasta-Schaum im Mund gewinnend an. Während meine Maske einwirkt, poste ich noch das Pärchenbild mit der Unterschrift „Quality Time with the love of my life“.

Als ich aus dem Bad komme, wartet Tom schon mit verschränkten Armen davor. War ich so lange drin? Im Bett gucke ich noch die Videos und lache laut, als Tom das Schlafzimmer betritt. „Guckst du wieder diesen TikTok-Unsinn?“, fragt er genervt und verdreht die Augen. „Das ist doch immer dasselbe und frisst nur Zeit – wollen wir nicht lieber Musik hören?“

„Jetzt nicht Babe, ich muss noch planen, was ich morgen zur Bareröffnung trage – alle Girls werden da sein! Kira hat sich safe wieder Hyaluron gespritzt, so wie die in ihrer Story aussah. Aber es schaut schon gut aus … vielleicht sollte ich das doch ausprobieren?“

Tom seufzt. „Du bist wunderschön, so wie du bist. Bitte lass den Quatsch!“

Zwei Stunden später schläft er, während ich überdenke, ob das Kleid, das ich ausgewählt habe, nicht doch etwas zu unauffällig sein könnte.

 

Es ist der zweite Abend im Big Apple. Nach einer Shoppingtour und anschließendem Dinner in einem angesagten Paleo-Restaurant lassen wir den Abend in einer Bar ausklingen. Als ich mein Handy raushole, um unsere Drinks zu posten, stürzt Instagram ab. Panisch versuche ich die App wieder zu öffnen. „Oh, the server is down – it might take a while!“, ruft uns ein Tischnachbar zu. Tom lacht unverhohlen und bedankt sich gen Himmel. „Hör zu … ich weiß, dein Job ist eng mit dieser App verbunden, aber das Leben spielt im Hier und Jetzt! Ehrlich gesagt, erkenne ich dich kaum noch wieder – ich habe sogar überlegt, ob ich Schluss machen soll. Du bist gefangen in deiner digitalen Bubble der Oberflächlichkeit! Wann hast du das letzte Mal wirklich Quality Time gehabt, ohne dich ständig vergleichen zu müssen? Etwas von Herzen gemacht und nicht, weil es guten Content liefert? Du bist süchtig! Nach Likes, dem perfekten Outfit, dem perfekten Leben! Und weißt du, was du dabei vergisst? ZU LEBEN!“, kommt es aus Tom gesprudelt. Geschockt starre ich ihn an. Wut steigt in mir auf. Kopfschüttelnd stehe ich auf und laufe auf die Straße, völlig überfordert von der Situation. Ich steige in das erstbeste Taxi und schreie den mir nachlaufenden Tom an, dass er mich in Ruhe lassen soll. Mein Puls rast, während der Motor aufheult. Dieser Abend ist die reinste Katastrophe.

 

Am nächsten Tag sprachen Tom und ich uns aus. Nach erstem Abstreiten und Missmut realisierte ich bald selbst, wie toxisch mein Verhältnis zu Social Media geworden war. Instagram war wieder verfügbar, doch wir verbrachten den restlichen Urlaub smartphonefrei. Anfangs war es eine Überwindung, doch je mehr ich mich für die Welt um mich herum öffnete, desto weniger vermisste ich die digitale. Wir saugten die Stadt mit allen Sinnen auf, blickten uns tief in die Augen und redeten über Dinge, über die wir schon lange nicht mehr geredet hatten. Wir tanzten in einer Jazz-Bar zu Livemusik, ohne darüber nachzudenken, ob die Prada-Loafers schmutzig wurden. Wir lagen stundenlang im Gras des Central Parks und beobachteten, wie sich die Frühlingssonne durch die Wolken kämpfte. Wir ließen uns treiben und gingen spontan essen, wenn uns ein Restaurant anlachte. Ich fühlte mich so lebendig und entspannt wie schon lange nicht mehr.