Literareon

»So war das damals«

Diese Geschichte von Werner Friedrich Kresse wurde von der Jury ausgewählt und im Gewinnerband »Ferien« unseres Kurzgeschichten-Wettbewerbes abgedruckt. Wir veröffentlichen sie hier in voller Länge.

W F KRESSEDer Autor

Der Diplompolitologe und Landwirt Werner Friedrich Kresse war nach seinem Studium in verschiedenen Einrichtungen der Erwachsenenbildung tätig, bis er in den letzten Jahren seines Berufslebens als Dozent für EDV bei freien Trägern sowie an Volkshochschulen arbeitete. Besuche in einer Vielzahl europäischer Länder bereicherten das Leben des nun verheirateten und in Berlin ansässigen Mannes.

Geleitwort der Jury

Ferien: Intuitiv denken wir an die Sommerferien während der Schulzeit, deren sechs Wochen sich meist wie ein halbes Jahr anfühlen, an Baggersee und Grillen oder an einen Strandurlaub in Italien.

Doch jeder verknüpft mit dem Begriff etwas anderes. Wie weit die Spanne reicht, zeigt sich in den uns zahlreich zugesandten Beiträgen: schöne Geschichten über spannende Erlebnisse, unterhaltsame Gedanken zu verborgenen Zusammenhängen und erschütternde Berichte bitterer Realität.

Die prämierten Beiträge zeichnen sich durch Witz und Stil aus, beleuchten detailliert und anschaulich unbeachtete Aspekte des Wettbewerbsthemas oder schaffen es durch Abstraktion und Intuition neue Blickwinkel in den Köpfen der Leser zu etablieren. Das Verlieren der kindlichen Unschuld, die (Ver-)Planung des Urlaubs, die unbändige Vorfreude auf die anstehende Reise, Mord und Totschlag oder einfach nur die Erinnerung an die Sommerferien der Kindheit – alle Beiträge besitzen ihren eigenen Charme, ihre gedankenreiche, im Subtext enthaltene Aussage.
Lassen Sie sich mitreißen und machen Sie – zumindest gedanklich – Ferien.

So war das damals

Wir liegen unbemerkt in der Wiese, unweit von uns plätschert der Gebirgsbach, kristallklares Wasser, manchmal – und warum auch nicht – wenn die Forelle darin lebt und wir an heißen Sonnensommertagen sehr durstig sind, lassen wir den Bach hinein in unseren Bauch sprudeln, trotz der elterlichen Warnung, nicht immer »rohes« Wasser zu trinken.

frog 663966 960 720Die Sonne scheint uns auf den Rücken, der Blick geht in Richtung Wasser, wo unser Vorhaben beginnt. Aber vorher versuchen die Augen den seltenen, kleinen Gast, unseren Eisvogel zu erhaschen. Selten genug sehen wir ihn, aber in den Ferien haben wir ja Zeit, die nötige Ruhe und Geduld. So gern lässt er sich nicht beobachten, der scheue Geselle, wie es aber heute aussieht, wird wohl nichts daraus, obwohl die Rede davon war, dass etwas kleines Buntes gesehen wurde. Ja, wer weiß, außer ein paar Wildenten kommt nichts vorbei. Wieso fliegen die um diese Jahreszeit, wenn sie nicht bedrängt werden? Sicher hechelt wieder so ein blöder Köter durch die Wiese am Bach entlang, der soll sich lieber um die Krähen auf den Feldern kümmern, da hat er genug zu tun. Wenn es so ist, brauchen wir auf unseren Eisvogel nicht zu warten.

Außer dem Quaken einiger Frösche in der Ferne ist zwischen Himmelszelt und Wiese weiter nichts Interessantes los. Widmen wir uns unserem eigentlichen Kommen, nämlich dem Fischfang. Wer nun glaubt, dass einige Jungs mit solider Anglerausrüstung unterwegs sind, der irrt gewaltig. Nichts zu sehen, nichts versteckt. Alles ganz einfach, wir wollen Forellen fangen. Mit unseren bloßen Händen. Keine Haselnussrute mit Faden, Haken und Regenwurm, obwohl das unbestreitbar sehr erfolgversprechend ist. Erstens ist es nicht erlaubt mit Regenwurm und zweitens wäre es zu unsportlich.

Nun denn, auf geht’s. Ausziehen, barfuss stecken wir sowieso in den Sandalen, da ist nicht viel auszuziehen, das Hemd dazu gelegt und los geht es. Langsam schleichen wir zum Rand des Baches. Das Gras wiegt sich leicht in der Luft, hängt halb in den Bach hinein, es steht bald so hoch, wie wir groß sind, so dass es uns versteckt, nicht vor den Forellen, aber vor so manchem andern Blick. Nun darauf bedacht, keinen Schatten auf das Wasser zu legen, nicht quatschen, nicht weiter rascheln, erst mal die Stellen sichten, wo ein Fisch stehen könnte, denn die Forelle kann sich hervorragend tarnen. Dann langsam ins Wasser, jedoch nur einer von uns. Würden mehrere im Wasser rumtrampeln, wär es vorbei mit Fischessen. Jetzt hinein ins Wasser. Vorsichtig, vorsichtig! Schön erfrischend ist das klare Bachwasser, aber das bemerkt keiner. Es soll ja ein Fisch gefangen werden.

char 585705 960 720Jedoch ist immer die Frage, wo könnte sie stehen, die Forelle? Unter einem großen Stein, an einer ausgewaschnen Vertiefung am Uferrand oder dort an der kleinen Bachschnelle neben dem Windbruch. Es ist nur zu erahnen. Hand langsam ins Wasser, flink zupacken, das wars – schön sah sie aus, die Regenbogenforelle im Sonnenschein, wie sie durchs Wasser fegte. Der Platz war gut, wir brauchen ihn uns aber nicht zu merken, sie kommt nicht gleich wieder und hierher, wer weiß? Es muss wieder ein Stück den Bachlauf entlang gegangen werden, denn dort, wo wir erfolglos waren, erwartet uns niemand mehr.

Auf zum nächsten Experiment, diesmal gehen wir näher zum Rand des Baches. Hohes Gras verdeckt uns die Sicht. Es muss tatsächlich mehr als vorsichtig aufgetreten werden. Im wahrsten Sinne des Wortes pirschen wir uns an den Rand des Baches, hier hat das Wasser eine kleine Einbuchtung am Rand geschaffen, sicher durch das Frühjahrswasser, wenn der Bach stark anschwillt. In dieser Nische ein nächster Versuch, schnell zugegriffen, ein leichter Aufschrei. Was ist denn das? Am Zeigefinger hängt ein Krebs. Die wollen wir heute nicht haben, die Biester zwacken aber auch ordentlich. Wer hat ein sauberes Taschentuch zum Umwickeln?

Wir lassen uns nicht beirren, suchen eine andere Stelle. Die Entscheidung fällt auf einen großen Stein teilweise im Wasser, es wird langsam um ihn herumgegangen, dann sich auf ihn gelegt, ohne Schatten zu hinterlassen, im Wasser bietet der Stein nur einen Fluchtweg in eine Richtung. Das Gespür sagt uns, hier ist etwas. Mit der Hand, die Finger leicht gekrümmt ins Wasser. Blitzschnell schließt sich die Hand hinter dem Kopf, bei den Kiemen. Fieberhaft auf die Wiese geworfen, da zappelt sie, nicht sehr groß, eher klein, also zurück ins Wasser mit dir. Schwimm mal noch ein paar Runden und schnapp schön nach fetten Mücken und Fliegen. Nebenbei, das ist ein großer Vorteil unserer Fangmethode: Kein Angelhaken muss aus dem Maul gepult werden, unversehrt kommen sie zurück ins Wasser. Also wieder nichts, aber die Lage war gut. So machen wir über Stunden mit allerlei raffinierten Plätzen im Wasser Bekanntschaft, des Öfteren haben wir etwas anderes in der Hand, als wir es wollen. So manches schöne Geschöpf sehen wir, das davonjagt. Ja, ja, die Forelle ist ein schneller Fisch, in ihrem Element Wasser. Am Ende haben wir aber immerhin zwei Prachtexemplare, die durch drei geteilt werden müssen, aber für uns kein Problem. Wenige Zeit später werden sie nach dem Drei-S-System zubereitet und in der Pfanne mit »guter Butter« gebraten und gegessen. Ein erlebnisreicher Tag, zu guter Letzt bekommt jeder von dem größeren der beiden Fische eine Schuppe für die Geldbörse, damit es in Zukunft immer darin klimpert, das Geld.

tatry 1645431 960 720In der Schule dann beim Ferienerlebnisaustausch kommt dieses Abenteuer recht unterschiedlich an, mit »i« und »äh« spalten sich die Geister. Für die einen ist Fisch Lebenselixier, für die anderen nur ein Grätenmysterium. Zeigen wir aber unsere Geldbörse mit der wie Perlmutt glänzenden Schuppe, gibt es schon verstohlene, neidische Blicke.
Ja, ein Riesenspaß, immer wieder ein Erlebnis, so ein Tag. Natürlich gibt es solche Forellen nicht im Überfluss, aber ökonomisch und ökologisch ist es sehr vorteilhaft. Immer können wir die »Salmo trutta fario« fangen, wenn die Natur es erlaubt. Wollen wir nicht vergessen, dass der Fisch eigentlich für uns heilig ist. Schon die Götter haben wohlbedacht die Fische als Sternzeichen an den Himmel gesetzt.

Ja, mein lieber Enkelsohn, so waren damals unsere Ferienerlebnisse.