Literareon

»(Sch)eis(s)kalt erwischt«

Diese Geschichte von Thomas Krause wurde von der Jury ausgewählt und im Gewinnerband »eiskalt erwischt« unseres Kurzgeschichten-Wettbewerbes abgedruckt. Wir veröffentlichen sie hier in voller Länge.

Der Autor

Thomas Krause ist Anfang der 80er Jahre im kommunistischen Polen geboren, hat offiziell nie einen Beruf erlernt, schreibt nun mehr oder weniger regelmäßig seit 20 Jahren und verarbeitet damit vornehmlich seine Kindheit. Bis auf die Mitbegründung des Medienvereins »jungeMedien Hamburg« und der Veröffentlichung eines Interviews hat der Verfasser noch nie etwas publiziert.

Geleitwort der Jury

Das Schicksal schlägt zu, das Leben fährt mit Überraschungen auf, ein Ereignis wirft alles aus der Bahn, nichts ist mehr wie zuvor: dann hat es einen kalt erwischt. Die außereheliche Affäre fliegt auf, der Mitbewohner wird beim Verspeisen des Mittagessens für den nächsten Tag ertappt, der Schüler vom Lehrer beim Abschreiben entdeckt: auch dann hat es einen kalt erwischt. Und wenn Sie denken, dass das schon alle Interpretationsmöglichkeiten zu unserem neuen Wettbewerbsmotto sind, dann täuschen Sie sich. Unsere Autoren haben uns mit ihren Geschichten wirklich überrascht.

Die Auswahl der besten Geschichten fiel uns wie immer schwer, das Wettbewerbs-Motto erwies sich allerdings als hilfreich dabei: Welche Wendung, welche Pointe, welche Peripetie war am wenigsten erwartbar und hat uns – am kältesten erwischt?

Wir wünschen eine spannende und unterhaltsame Lektüre!

(Sch)eis(s)kalt erwischt

Irgendwann im Alter von ungefähr zehn Jahren fand ich einen Dinosaurierzahn. Im tiefsten Winter. Auf dem Schnee. Keine Ahnung, wie er dahin gekommen war. Wahrscheinlich gehörte er zu einem tyrannosaurus rex oder zumindest zu einem anderen Fleischfresser. Dies hatte ich, äußerst fachmännisch, mit großer Souveränität eindeutig festgestellt.

Eiskalt erwischt

le_moque – stock.adobe.com

In jedem Fall war ich damals sehr dinosaurierbegeistert, aber wir polnischen Aussiedler waren so arm, dass meine Mutter mir ungefähr 700 verschiedene einzelne Dinosaurierarten, Wort für Wort, Bezeichnung für Bezeichnung, lateinisch, aus einem Lexikon der öffentlichen Bücherhalle per Hand abschreiben musste, damit ich mir diese Listen in meine wissenschaftliche Sammelmappe heften konnte. Dort hatte ich auch bereits einige der Arten visuell dargestellt, indem ich diese aus den geliehenen Büchern abpauste. Ich weiß nicht, wie viel Mutti damals als Putzfrau verdient hat, aber anscheinend war es so wenig, dass wir keine drei Mark für den Kopierer hatten. Mama, ich hab Dich lieb.

Der besagte und innerlich von mir besungene Zahn war dementsprechend eine Riesenentdeckung für einen Mini-Paläontologen wie mich; eine Sensation, um es genau zu sagen! Ich hob ihn begierig auf, freute mir einen sprichwörtlichen Ast, steckte ihn in die Tasche und spielte weiter.

Nach einigen Stunden, als ich schon längst wieder zu Hause im Warmen war, fiel mir ein, dass ich doch den Dinozahn in der Jackentasche hatte! Euphorisch und in Saurierschritten lief ich zur Garderobe, voller Erwartungen und Pläne, was ich mit ihm machen, wie ich ihn untersuchen und wo ich das wertvolle Exponat in meinem Zimmer zur Schau stellen würde … und fasste in meine Winterjacke. Bereits ohne Sichtkontakt ahnte ich, dass da was nicht stimmen konnte. Der uralte Reißzahn fühlte sich komisch an. Seltsam weich, schleimig und dennoch irgendwie faserig.

Es wäre jedoch gelogen, wenn ich behaupten würde, ich hätte den Braten da schon gänzlich gerochen, denn ich ließ mich nicht beirren. Zu schön war die Vorstellung, zu groß der Wunsch, dass sich der seltene Fossilienfund bitte nicht doch als Griff ins Klo entpuppen sollte. Ich zog ihn aus der Tasche, betrachtete das nun eindeutig braune und offenkundig nicht mehr als ein paar Tage alte organische Ding.

Mit präziser wissenschaftlicher Beobachtungsgabe stellte ich fest, dass es sich hierbei um ein Stück Scheiße handelte.

Wahrscheinlich die Exkremente eines minutus canis, zugehörig zu einem homo sapiens, ex urbe hanseatica hamburgum. Oder anders: Ein Stück Hundekot von irgendeinem verkackten Köter irgendeines Menschen aus der Nachbarschaft.